Hier & Heute | IGP Blog

Allgemein

SZ über Imam Idriz

27. Mai 2014 | Allgemein

Der Verdacht

Benjamin Idriz ist Imam im oberbayerischen Penzberg und gilt als Vertreter eines weltoffenen, toleranten Islams. Innenminister Joachim Herrmann bleibt trotzdem skeptisch.

Von Joachim Käppner und Monika Maier-Albang

Gott ist groß, und Mohammed ist sein Prophet. Die Stimme des Predigers erklingt laut im Penzberger Gewerbegebiet. Im Gespräch wirkt Benjamin Idriz sanft, beinahe schüchtern. Aber wenn er predigt, dann steht ein
anderer Idriz vor der blauschimmernden Glaswand der neuen Moschee: einer, der seine Stimme anschwellen lassen kann wie einen Feuersturm, um dann, fast flüsternd, das Feuer zu einem Prasseln abklingen zu lassen.

Es gibt einen wichtigen Mann in München, der glaubt, der Prediger spreche mit zu vielen Stimmen. Der freundlichen Stimme für seine deutschen Freunde, denen er vom modernen, toleranten Islam erzählt. Der flüsternden Stimme, wenn er mit radikalen Muslimen spricht. Und einer täuschenden, ausweichenden Stimme, wenn ihn die Sicherheitsbehörden mit diesen Kontakten konfrontieren. Dieser wichtige Mann ist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, CSU.

Er hält den wortgewaltigen Imam von Penzberg für eine Art trojanisches Pferd, so empfindet Idriz es. Deshalb steht die Islamische Gemeinde Penzberg seit drei Jahren im Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern. Und der Minister fragt: ‚Wird er ferngesteuert oder macht er der Öffentlichkeit etwas vor? Diese Fragen müssen erlaubt sein.‘

Das Besondere an dem erst 38-jährigen Idriz ist, dass er, obwohl nur Imam einer recht kleinen oberbayerischen Gemeinde, bundesweit als Hoffnungsträger gilt, als einer, der in Zeiten der Sarrazin-Debatte solche Dinge predigt wie: ‚Gott, außer dem es keinen anderen gibt, hilf den Muslimen zu verstehen, dass sie mit ihrer Integration in die hiesige Gesellschaft Deinen Rat des guten Handelns befolgen!‘ Oder der in drei Wochen ein Buch mit dem hübschen Titel ‚Grüß Gott, Herr Imam‘ veröffentlichen wird, in dem die ‚ideale muslimische Persönlichkeit‘ beschrieben wird: ‚Sie verteidigt die Rechte der Frauen und die Menschenrechte sowie die Freiheit der Rede, des Denkens wie des Lebens … Sie unterzieht ihr Religionsverständnis einer Prüfung durch ihre Vernunft und hält dadurch Abstand von extremen Haltungen.‘

Die Art der Debatte, die Thilo Sarrazin angestoßen hat, stimmt den Imam betrübt. Erst neulich wieder war er bei einer Veranstaltung im wohlhabenden Starnberg, auf der er Furcht vor den Muslimen im Allgemeinen geradezu greifbar spürte: ‚Dann reden viele Leute über den Islam, aber sie kennen keine Muslime.‘ Es mache sich ein Denken breit, das unter Integration verstehe, ‚dass Özil in der Nationalmannschaft spielt – Muslime in der Moschee aber gelten als bedrohlich.‘ Er hat den neuen Bundespräsidenten Christian Wulff nach Penzberg eingeladen, um ihm einen anderen Islam zu zeigen, Wulffs Büro hat die Moschee auf die Liste der lohnenswerten Besuchsziele gesetzt.

Und Idriz hat eine Vision und ein Projekt: das ‚Zentrum für Islam in Europa‘ München (ZIE.M), mit einer Moschee und einer Ausbildungsstätte für deutschsprachige Imame. Damit wäre Idriz in Deutschland eine Stimme jenes weltoffenen, modernen Islam, die man bisher so häufig vermisst hat.

Wäre da nicht der Verdacht. ‚In der Gemeinde Penzberg wird sehr viel positive Arbeit geleistet‘, sagt Minister Herrmann. Es gebe in der Gemeinde aber auch Leute, ‚die Kontakte zu Personen mit führenden Positionen bei der IGD und Milli Görüs haben. Und das ist höchst problematisch.‘

Das wäre in der Tat nicht die beste Gesellschaft für den Vormann des toleranten Islam. Die IGD, die Islamische Gemeinschaft Deutschlands, soll Beziehungen zu den Muslimbrüdern haben. Milli Görüs, türkisch-nationalistisch geprägt, gilt ebenfalls als verfassungsfeindlich orientiert. Glaubt man den Verfassungsschützern, dann gibt es ein Unterordnungsverhältnis. Oben die Radikaleren, unten Idriz. Der distanziere sich eben nur in der Öffentlichkeit von El-Zayat oder den Milli-Görüs-Leuten, in Wirklichkeit aber versuche er geschickt, sich ein Netzwerk aus Unterstützern aufzubauen. In mehreren Instanzen hat die Gemeinde vergeblich gegen die bemerkenswert schwammigen Aussagen im Verfassungsschutzbericht geklagt, wo von ’strategischen Absprachen und verdächtigen Kontakten‘ die Rede ist. Verdächtigungen sind schwer zu widerlegen, und die Kontakte gab es. Nur: Was bedeuten sie? In der Hauptsache steht das Verfahren noch aus.

Aufschlussreich war schon der Beginn des Konfliktes. Das war vor drei Jahren, als Idriz noch im Schwung des ZIE.M- Projektes an den damaligen CSU-Innenminister Günther Beckstein schrieb und für sein Projekt warb. Zwei Monate später erhielt er eine eisige Antwort des zuständigen Referenten im Münchner Innenministerium, Wolf-Dieter Remmele: Dem Verfassungsschutz lägen ‚Erkenntnisse über die Zuordnung der Islamischen Gemeinde Penzberg und von Führungsmitgliedern dieser Gemeinde zu der islamistischen Organisation IGMG vor. Unter der Trägerschaft einer extremistischen Bestrebung können wir ein solches Projekt nicht unterstützen.‘

So war mit zwei Sätzen aus dem Vorzeigeprojekt ein sinistres Vorhaben geworden, aus Kontakten zur IGMG deren ‚Trägerschaft‘. Von Trägerschaft ist heute nicht mehr die Rede, bloß noch von Kontakten. Ein CSU-Politiker sagt spitz über Hermann und dessen Haus: ‚Wenn man diese Leute fragt, mit welchen Muslimen man denn überhaupt unbefangen reden könne, dann wissen sie keine Antwort.‘

Es entbehrt nicht der Ironie, dass nicht wenige dieser angeblich so verdächtigen Kontakte gerade dem Versuch entsprangen, die Vorwürfe zu entkräften. Da ist etwa Bayram Yerli, der Vorsitzende der Penzberger Gemeinde, der einst zu Milli-Görüs gehörte. Verdächtig? Das war in einer kleinen bayerischen Landgemeinde, eine andere gab es dort nicht. 1994 zog Yerli nach Penzberg, formal gehörte er noch zu Milli Görüs, aber 2005 trat er aus. Nach dem ersten Konflikt mit dem Verfassungsschutz verlangte er mehrmals von Milli Görus, ihm endlich eine Austrittsbestätigung zu schicken. Das Papier kam nicht bei. Er musste wieder anrufen. Dankbar notierten die mitlauschenden Verfassungsschützer weitere subversive Kontakte. Wenn sich Yerli mit den Gesprächspartnern aber stritt, schrieben die Horcher über ihr Abhörprotokoll: ’nicht relevant‘. Nicht relevant war zum Beispiel, wenn Bayram Yerli laut Protokoll ‚verbittert ist, dass es ihm Milli Görüs mit seiner Kündigung so schwer gemacht hätte‘.

Yerli fühlt sich, ‚als würden wir immer in den Nebel greifen. Was wir auch tun und sagen, sie halten es für eine heimtückische Täuschungsstrategie.‘ Das Innenministerium verlangte eine deutliche Distanzierung von den radikaleren Gruppen – Idriz gab nach und ließ sich dann in eben den Telefonaten, die nun als Beweis seiner angeblichen Nähe zu Verfassungsfeinden dienen sollen, von El Zayad ausgiebig beschimpfen.

Dennoch wirft Herrmann Idriz vor: ‚Zwischen Idriz und el Zayad bestanden intensive Kontakte, obwohl Idriz extremistische Kontakte immer weit von sich gewiesen hat. Die Penzberger haben das immer bestritten, deshalb fühle ich mich belogen.‘

Idriz ist über diesen Vorwurf empört. Im September traf er den Minister persönlich. Genutzt hat es offenbar nicht viel. Kühl ließ der Minister verlauten, er habe ‚keine Zusagen‘ gemacht, anders als die Penzberger gehofft hatten.

Eine Neubewertung sei immer möglich, sollte sich das ‚Beobachtungsobjekt‘ zur Verfassung bekennen und ‚Kontakte mit verfassungsfeindlichen Institutionen und Personen‘ vermeiden. Es geht um verwickelte Details und doch ums große Ganze; hier um eine zeitgemäße Form der Gretchenfrage: Und sag, wie hältst du“s mit der Religion? Mit wem können und wollen wir überhaupt sprechen?

An Idriz soll es nicht liegen. ‚Es wird eine neue Identität des Islam in Deutschland geben‘, sagt er, und dieser Islam soll ’sympathisch und akzeptabel sein‘. Die Jugendlichen seien es müde, ‚in Hinterhofmoscheen zu beten. Sie wollen dazugehören.‘ Dafür aber muss der Islam im Lande etwas leisten, etwas Großes: Er soll sich als Teil der demokratischen Gesellschaft verstehen. Genau deshalb gilt er radikaleren Muslimen aber auch als verdächtig; deshalb sprechen sie manchmal von ihm als ‚dem Idioten‘ oder ‚dem Schwachkopf‘. Genau die Telefonate, in denen diese Worte fielen, sind es aber, die gegen ihn verwendet werden, Abhörprotokolle des bayerischen Verfassungsschutzes. Idriz hat sie selbst ins Netz stellen lassen.

Er hat, sagt er, mit El Zayad und anderen aus der großen islamischen Gemeinschaft in Deutschland hier und da gesprochen und daraus nie ein Geheimnis gemacht. Diese Kontakte, auch die zur großen, 300 Gemeinden umfassenden Organisation Milli Görrüs, sind für einen Imam kaum zu vermeiden, er kann nicht das Gespräch mit Glaubensbrüdern verweigern; und außerdem waren schon CSU-Politiker bei Milli Görrüs und haben die Gastgeber sogar gelobt. An Milli Görüs kommt man nicht vorbei, aber Idriz soll einen weiten Bogen darum schlagen. Der ideale Muslim, so scheint es, darf noch nicht einmal mit anderen Muslimen über den richtigen Weg streiten, ohne unter Verdacht zu geraten. Herrmanns Position wird nicht besser dadurch, dass kürzlich die Ermittlungen gegen Milli Görrüs eingestellt wurden.

Die Gegend um Penzberg herum ist tiefschwarzes Bauernland. Eine liebliche Voralpenregion, hübsche Dörfer, Zwiebeltürme, stille Seen vor der Kulisse der Berge. Penzberg aber ist von der Industrie geprägt, nicht ansehnlich, aber bunt. Idriz hat hier im Kleinen erprobt, was er nun, im Großen, in München mit ZIE.M verwirklichen will: das Miteinander eines aufgeklärten Islam und der deutschen Gesellschaft. Die Penzberger kommen aus 72 Nationen.

Idriz predigt auf Türkisch, der Sprache, die er von seinem Vater gelernt hat, der in Mazedonien zur türkischsprachigen Minderheit gehörte und Imam in Skopje war. Auf Albanisch, der Sprache seiner Mutter, die als Albanerin in Mazedonien lebte. Auf Arabisch, dessen beide Varianten er von seiner Studienzeit in Damaskus mitgenommen hat. Auf Deutsch, das er sich in Penzberg angeeignet hat. Dass er die Predigten in mehreren Sprachen hält, ist, wenn man so will, Idriz“ Erfindung.

Das Vorzeigeprojekt steht nun auf der Kippe, und es kann nur eine Wahrheit geben. Entweder ist Idriz ein Blender, auf den seine deutschen Freunde hereinfallen. Herrmann spricht, leicht abfällig, vom ‚Fanclub‘ des Imam. Nur zählen zu diesem Fanclub der evangelische Landesbischof Johannes Friedrich, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), die beiden Pfarrer Penzbergs, der Landrat von Weilheim-Schongau, Friedrich Zeller; dazu kommen der frühere bayerische Landtagspräsident Alois Glück von der CSU und der junge Chef der CSU-Ratsfraktion in München, Josef Schmid, der offen gegen Herrmann rebelliert hat und sich hinter Idriz stellt. Entweder sind sie alle verblendet. Oder es ergeht dem Innenminister wie dem Mann in dem bekannten Witz, als einer auf die Autobahn fährt und überall blinkende, hupende Autos auf sich zukommen sieht; komisch, denkt er, heute sind so viele Geisterfahrer unterwegs.

Ein Herbstabend in Penzberg, vor der blauschimmernden Moschee ist ein großer Wagen vorgefahren, Bodyguards sehen sich wachsam um. Das vermeintliche Werkzeug des Islamismus hat hohen Besuch, und zwar solchen, den kein eifernder Anhänger des Gottesstaates in die Moschee ließe: der Münchner Generalkonsul der USA, Conrad Tribble, ist zum Fastenbrechen gekommen, am Ende des Ramadan.

Er sitzt am Tisch des Imam, er hält die Festrede. Natürlich lässt der Diplomat Tribble kein einziges böses Wort über die bayerische Staatsregierung und ihre Sicherheitsorgane fallen, aber allein sein Auftritt ist Botschaft genug: Wir brauchen in den modernen Gesellschaften Muslime wie Benjamin Idriz. Jeder könne, sagt Tribble vornehm, selbst seine Rückschlüsse daraus ziehen, dass er hierher gekommen ist. Und man kann davon ausgehen, dass er zwischen freundlich und feindlich gesinnten Muslimen unterscheiden kann: Das vorletzte Fastenbrechen hat er im Osten Bagdads gefeiert.

Seit der Streit begonnen hat, spürt der Imam etwas, das er vorher nicht kannte: Hass. Da kommen plötzlich Drohanrufe, vor der Stadtkirche werden Flugblätter verteilt: ‚Idriz go home‘. Auf Internetseiten werden Verschwörungstheorien von Leuten ausgetauscht, die sich als Verteidiger der christlichen Zivilisation verstehen, obwohl sie mit zivilisierten Ausdrucksformen eher weniger vertraut zu sein scheinen.

Neulich kam eine Schulklasse in die Penzberger Moschee, auch das ist seit der Stigmatisierung durch den Verfassungsschutz nicht mehr so häufig. Ein zwölfjähriges Mädchen hat die kleine Nachbildung der Kabaa bestaunt, des schwarzen Würfels in Mekka, des zentralen Heiligtums des Islam. Ich wusste gar nicht, dass die hier in Penzberg ist, sagte das Kind. Es gibt auch harmlose Wege, sich misszuverstehen.

Quelle: Jetzt, Süddeutsche Zeitung

Cookie Consent mit Real Cookie Banner