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Steh auf gegen Hass und Gewalt

24. Nov 2015 | Allgemein

Die Rede von Imam Benjamin Idriz bei der Kundgebung „Steh auf gegen Hass und Gewalt!“ des Münchner Forums für Islam am 20.11.2015

Der Friede sei mit Euch! – As-salamu alaykum!

Ich bin Euch und Ihnen allen von Herzen dankbar für Ihr Kommen, damit wir heute gemeinsam zeigen, was uns bewegt. Es ist gut, dass wir hier sind. Es ist gut, dass Muslime und Nicht-Muslime miteinander eindrucksvolle Zeichen setzen, hier von der Bühne aus und anschließend mit dem Schweigemarsch: entschiedene Zeichen, laute Zeichen, stille Zeichen, kräftige Zeichen.

Am vergangenen Freitag habe ich über die Menschlichkeit im Islam gepredigt: „Es gibt heutzutage weniger Menschlichkeit, als Menschen in der Welt, und diese verlorene Menschlichkeit wiederherstellen, das kann wiederum nur der Mensch“, war mein Schlusswort. Der Anlass meines ausgewählten Themas war nicht der Terrorakt in Paris, der ja dann in den späten Nachtstunden stattgefunden hat, sondern der in Beirut, am Tag zuvor, der 40 Menschen das Leben gekostet hatte.

Am Abend, während ich mit meinen Kindern Fußball im Fernsehen sah, tauchten auf anderen Kanälen die ersten schrecklichen Meldungen aus Paris auf. In den späteren Stunden schrieb mir dann ein Gemeindemitglied, der noch zu Mittag meine Predigt gehört hatte, folgendes: „Lieber Imam, die Menschlichkeit, die Du heute gepredigt hast, ist wieder untergegangen“. Diese unmenschliche Tat zeigt, dass wir Menschen aufstehen müssen, noch lauter und deutlicher über die Menschlichkeit des Islam zu sprechen und allen, die diese Werte zerstören, zu widersprechen. Die humanen Werte des Islams sind der beste Schutz gegen Radikalisierung, vor allem der heranwachsenden jungen Menschen. Schon unser Prophet sagte im 7. Jahrhundert, dass Übertreibung in der Religion der schlimmste Feind der Religion ist.

Die Menschlichkeit gibt es noch, wenn wir alle gemeinsam, mit gleichen Gefühlen, mit gleichen Zielen, gegen alle schrecklichen und verbrecherischen Taten aufstehen, für die Opfer in Paris, wie in Ankara, oder in Beirut, oder in Syrien oder im Irak oder anderenorts. Es gibt keinen besseren oder schlechteren Terroristen, und es gibt kein mehr oder weniger wertvolles Opfer. Deswegen sind wir heute gemeinsam auf der Straße, um unsere Stimme zu erhöhen, gegen das brutale Regime in Syrien, gegen die barbarische Ideologie des „I.S.“. Unsere Anteilnahme gebührt den Angehörigen der Opfer, unser Mitfühlen den Verletzten. Mit der französischen Nation sind wir fassungslos über diesen Anschlag. Die Täter gehören nicht zu Frankreich, sie gehören nicht zu Europa und sie gehören nicht zum Islam!

Diese Kundgebung heute geht von Muslimen aus, und deshalb erlauben Sie mir, dass ich hier als Imam, als Muslim, zu Ihnen allen spreche. Mit Salamu alaykum habe ich Sie begrüßt. Das ist unser islamischer Gruß. Und das ist aber auch unser islamischer Auftrag für die Welt! Wer mit diesen Worten grüßt, und etwas anderes im Sinn hat, als den Frieden – der hat vom Islam von Anfang an nichts verstanden, oder er belügt sich und andere; doch Gott, der im Koran mehr als alles andere der Barmherzige und der Erbarmer genannt wird, den kann er nicht belügen. Warum bedenken diejenigen das nicht, die vorgeben, in Seinem Namen aufzutreten, wenn sie Hass und Gewalt anstelle von Gottes Barmherzigkeit setzen!?

Unter uns hier sind Sunniten und Schiiten, Muslime mit Wurzeln in der Türkei, in Bosnien, in Albanien, in arabischen Ländern, in Afghanistan, in Indonesien, in Afrika, im Kaukasus, in vielen anderen Ländern und natürlich auch in Deutschland. Wir sind hier ein Querschnitt der Ummah, der Gemeinschaft der Muslime. Wir sind die Muslime, Männer und Frauen, mit oder ohne Bart, mit oder ohne Kopftuch, und – wir sind ein ganz normaler Teil dieser Welt in unserer Zeit! Sie aber, wer sind sie – die meinen, die Welt hätte vor 14 Jahrhunderten versteinern sollen? Die so leben, als hätte Gott die Menschen geschaffen, um sie gegeneinander aufzuhetzen? Können sie das denn wirklich glauben?! Lest doch im Koran: „Ihr Kinder Adams, der Satan soll euch doch nicht verführen!“ Und denkt nach! Gott hat euch Verstand gegeben und im Koran geraten, diesen zu gebrauchen: Diejenigen, die euch zur Gewalt verführen, die euch vormachen, ihr könntet irgendetwas Gutes bewirken, indem ihr Schlechtes verübt, ihr könntet Leid bekämpfen, indem ihr selber Leid verursacht – diese können niemals im Namen des Barmherzigen Gottes, Seines Propheten, oder unseres Glaubens, des Islams, sprechen. Fallt nicht auf sie herein! Ihr schadet sonst dem Islam unendlich viel mehr, als die, gegen die ihr vorgebt kämpfen zu müssen.

Und wir, die Muslime auf der ganzen Welt, leiden unter diesem Tun doch nicht weniger, als andere – sondern mehr, weil es unsere Religion ist, die dabei so unbeschreiblich pervertiert wird. Deshalb dürfen wir Muslime uns nicht darauf zurückziehen, dass das doch nicht wir sind, die so handeln, dass das doch nichts mit uns und unserem Glauben zu tun hat. Wir dürfen es auch nicht dabei belassen, dass wir uns doch schon lange distanziert haben. Wer, wenn nicht wir, kann und muss dagegen immer wieder laut und entschieden auftreten! Nicht nur, um der Mehrheitsgesellschaft, in der wir leben, zu demonstrieren, wer wir sind und wie wir denken und glauben. Sondern auch um den Tätern deutlich zu machen, dass sie niemals in unserem Namen oder im Namen unserer Religion handeln. Niemals!

Vor über einem Jahr haben Münchner Imame in ihrer Deklaration in aller Deutlichkeit erklärt, wie und warum der Islam jede Art von Terror von Grunde auf ablehnt und verabscheut. Diese „Deklaration der Imame“ wird heute auch hier verteilt. Bitte nehmen Sie sie mit und lesen Sie, was ich hier nicht alles ausführen kann.

Religion ist niemals dazu da, um Konflikte zu schüren. Es ist immer der Missbrauch von Religion – egal von welcher – der Leid verursacht. Religion ist dazu da, um Konflikte zu heilen!

Deshalb drücken wir heute gemeinsam unsere Trauer aus, schicken unsere Gedanken und Gebete nach Paris und überall hin, wo Menschen unter Hass und Gewalt leiden. Dies soll die stille, kräftige Botschaft des Schweigemarsches im Anschluss sein.

Wir – Muslime, Christen, Juden, Angehörige anderer Religionen oder Religionslose – wir trauern um alle Opfer von Hass und Gewalt und solidarisieren uns gemeinsam mit allen, die, wer sie auch seien, wo auch immer unter Terror und Vertreibung leiden. Hass und Abgrenzung gegen Muslime ist der schlechteste Ratgeber und hat keine Zukunft. Ebenso falsch ist es, für die Kolonialgeschichte die heutige Generation zum Sündenbock zu machen. Das Bedürfnis nach Rache ist immer das erste Zeichen von Schwäche. Der Koran lehrt uns: „Kein Mensch trägt die Schuldbürde eines anderen“. Wir rufen alle Muslime dazu auf, sich unter keinen Umständen mit Kriminellen zu identifizieren, deren Tun zu verteidigen oder zu verharmlosen. Nicht-Muslime rufen wir auf, jeglichen Islamhassparolen eine klare Absage zu erteilen.

Aber weil ich Muslim bin, weil ich ein religiöser, ein gläubiger Mensch bin, glaube ich fest, dass die Zukunft anders aussehen wird, als es Extremisten und Fanatiker, Rassisten und Angst-Demagogen uns einreden wollen, mit Gottes Hilfe. Diejenigen, die Gott und unsere Religion so sehr schänden, indem sie ihr grauenvolles Tun „Islamischer Staat“ nennen, werden – mit Gottes Hilfe bald – nur noch ein trauriges Kapitel der Geschichte sein, über das die Menschen, Muslime oder nicht, noch sehr sehr lange Zeit entsetzt den Kopf schütteln werden. Wir aber werden selbstverständlich Fußball spielen, in Paris, in Hannover, und überall in Europa und auf der Welt. Wir werden Kultur genießen und Musik hören – jeder nach seinem Geschmack. Wir werden, Männer und Frauen, uns kleiden, wie immer die oder der einzelne es für richtig empfindet. Wir werden unsere Meinung äußern, in Freiheit und in Respekt voreinander. Wir werden Menschen in Not menschenwürdig aufnehmen und unsere Grenzen für sie öffnen. Wir werden reisen, um anderen Menschen und Kulturen zu begegnen, in Bussen, Zügen, Flugzeugen, ohne Angst. Und wir werden Konflikte überwinden – ja, auch die Konflikte im Nahen Osten und überall sonst; denn jeder Konflikt hat einmal begonnen und endet irgendwann.

Und schließlich – und das ist jetzt mein ganz konkreter Wunsch für die nahe Zukunft – wir werden in München einen Ort haben, das „Münchner Forum für Islam“ an der Dachauer Straße, an dem Islam sichtbar wird, so wie er gemeint ist, einen Ort des Miteinanders, des Voneinander-Lernens – der das, wofür wir hier zusammen stehen, zu einem festen und dauerhaften Bestandteil der Münchner Stadtgesellschaft machen wird.

Die Angst darf unser Leben nicht bestimmen, mehr Mut, mehr Tatkraft sollten wir zeigen. Wir wehren uns dagegen, dass der Hass aus anderen Regionen der Welt hierher gebracht werden soll, und arbeiten für ein friedliches Miteinander in Europa, in Deutschland und München, wo wir zuhause sind. Wir müssen jetzt alle zusammenstehen, Muslime wie Nicht-Muslime, alle, die gemeinsam ein friedliches Miteinander aufbauen möchten, gegen all jene, die sich dem entgegenstellen.

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