„Wir brauchen weniger Vorurteile“

23. Mai 2014 | Dialog

Über 300.00 Muslime leben in Bayern. Wer immer noch denkt, der Islam sei kein Teil des Freistaates, sollte mal das gemütliche Städtchen Penzberg besuchen, wo sich die Pfarrer und der Imam duzen. Benjamin idriz heißt dieser, und MUH hat ihn in seiner Moschee getroffen. „Ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren nicht mehr über Integration reden müssen“, sagt er.

MUH, Ausgabe 2, Sommer 2011

Penzberg liegt zwischen Starnberg und Kochelsee, die ersten Gipfel der Alpen sind nicht weit. Hier, mitten in Oberbayern, liegt eine Oase gelungenen interreligiösen Zusammenlebens. Die Islamische Gemeinde Penzberg (IGP e.V.) gilt über die Grenzen Bayerns hinaus als leuchtendes Beispiel für Integration. Großen Anteil daran hat Benjamin Idriz, der Imam der Gemeinde. Im Herbst 2010 hat er sein Buch „Grüß Gott, Herr Imam“ veröffentlicht, in dem er sein Verständnis eines „Euro-Islam“ schildert: Die demokratischen Werte stehen für ihn im Einklang mit dem humanen Werten des Islam. In einem Kapitel fordert er die Gleichberechtigung von Mann und Frau innerhalb seiner Religion. Idriz ist auch Vorstand des ZIE-M, des „Zentrum für Islam in Europa-München“. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, eine Moschee und ein Begegnungszentrum in der Landeshauptstadt voranzubringen.

Das alles klingt nach einer Blaupause zur Überwindung von Misstrauen und Problemen bei der Integration – trotzdem ist die Islamische Gemeinde Penzberg seit 2007 im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt. Die Begründung: Sie stehe in Verbindung mit der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V., der wiederum islamistische Tendenzen vorgeworfen werden. In den letzten Jahren ging es hin und her. Viele Unterstützer aus der Politik aber auch den christlichen Kirchen haben trotz der Vorwürfe zu der Islamischen Gemeinde gehalten. Die IGP selbst ist gegen die Nennung rechtlich vorgegangen, ihre Beschwerde wurde aber vom Verwaltungsgericht München zurückgewiesen. Im Bericht für 2010 ist sie immer noch erwähnt. Trotzdem wurde ihr in diesem Frühjahr der zwischenzeitlich entzogene Status der Gemeinnützigkeit als Verein wieder zugesprochen. Imam Benjamin Idriz hofft deshalb, dass seine Gemeinde im nächsten Bericht nicht mehr auftaucht.

 

Interview: Johannes Berthoud

Herr Idriz, beschreiben Sie doch mal Ihre Heimatstadt Penzberg. Was macht diesen Ort für Sie aus?

Penzberg ist eine Stadt mit 74 Nationen. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen viele Migranten hierher, die Stadt war und ist von Migranten geprägt. Es ist eine kleine Stadt mit 16.000 Einwohnern, genau in der Mitte zwischen München und Garmisch, nicht weit von der Autobahn. Es gibt schöne Häuser hier, viele Seen. Ein schöner Ort. Und in der Zwischenzeit ist die Stadt auch durch die Penzberger Moschee bekannt geworden.

Was mögen Sie an der Stadt?

Wir haben vor kurzem einen schönen Spazierweg bekommen. Die Stadtmitte ist noch lebendiger geworden durch mehrere Renovierungen in der letzten Zeit. Ich mag die Landschaft, die Berge.

Gehen Sie in die Berge?

Sehr selten. Was ich mag, sind zwei, drei Cafes gegenüber vom Rathaus, weil sich hier Menschen begegnen. Ich mag es, dort mit meiner Frau und meinen Kindern Kaffee zu trinken und Eis zu essen und anderen Bürgern zu begegnen.

Wie sind Sie nach Penzberg gekommen?

Das war Schicksal, würde ich sagen. Als ich Anfang der 90er Jahre nach Deutschland kam, hatte ich natürlich noch nie etwas von Penzberg gehört. 1992, 1993 war ich in München – eine Stadt, mit der ich schöne Erinnerungen verbinde. Ich habe dort meine Frau kennen gelernt. 1994 traf ich ein Mitglied der Penzberger Gemeinde, und der erzählte mir, dass sie nach einem Imam suchen, der in türkischer und bosnischer Sprache predigen kann und in diesen beiden Sprachen die Gemeinde führt. Im August 1994 habe ich das erste Mal Penzberg besucht. Eine sehr kleine Stadt im Vergleich zu München. Die Gemeinde hat mir das Angebot gemacht, hier als Imam tätig zu sein. Ich nahm an und habe Anfang 1995 begonnen. Die Einladung von diesem Mitglied war sehr spontan. Die Suche nach Arbeit hat mich also nach Penzberg geführt, und ich bin in Deutschland geblieben, obwohl ich damals an einer Universität studieren wollte. Ich war damals 22 Jahre alt. Wegen der Arbeit und meiner Frau bin ich in Deutschland geblieben.

Am Anfang Ihres Buches danken Sie einer Reihe von Leuten, darunter auch dem Bürgermeister und einem Pfarrer aus Penzberg. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu diesen Personen beschreiben?

Die Verhältnisse sind hier sehr freundschaftlich, sehr freundlich, sehr locker. Im Vergleich mit anderen Städten, wo es häufig gar kein Verhältnis gibt zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft, den Politikern oder den Religionsgemeinschaften. Dann gibt es Städte, wo es eine Art von offiziellem Dialog gibt, wo sich die Personen ab und zu treffen. Das Verhältnis hier in Penzberg ist völlig anders. Die Vertreter beider christlicher Kirchen sind meine Kollegen und meine Freunde. Wir duzen uns. Auch mit vielen Politikern. Anfang der 90er Jahre hat sich das Verhältnis gewandelt. Von Dialog zu Freundschaft. Vom Sie zum Du.

Warum ist gerade Penzberg so besonders?

Es gibt keinen Plan, keine Strategie. Es ist reines Schicksal.

Als Bundespräsident Christian Wulff sagte, der Islam sei ein Teil von Deutschland, kam Kritik von mehreren CSU-Politikern – der neue Bundesinnenminister, der CSU-Mann Hans Peter Friedrich, hat sogar entschieden widersprochen. Ist der Islam ein Teil von Bayern?

Wenn wir die Geschichte von Bayern studieren, dann finden wir keinen großen Einfluss des Islam. Der Islam war in der Vergangenheit nicht Teil der Kultur Bayerns. In den 60er Jahren, als die Gastarbeiter nach Deutschland kamen, wurde Deutschland auch ein Zuwanderungsland. Somit ist der Islam mit Muslimen hier angekommen. Insbesondere in den letzten zehn Jahren. Muslimische Kinder werden hier geboren, die neue Generation identifiziert sich mit Deutschland. Sie fühlen sich in Deutschland wohl, sind sehr aktiv in der Gesellschaft, leisten einen großen Beitrag für das Zusammenleben der Menschen und Völker hier, sind erfolgreich in Bildung und Wirtschaft. In München, Penzberg, Miesbach und vielen anderen Städten in Bayern gibt es Moscheen mit Kuppeln und Minaretten. Es gibt ein muslimisches Leben in Bayern und wir sprechen über eine Imamausbildung an einer bayerischen Universität, in Erlangen. Wir sprechen über Religionsunterricht an bayerischen Schulen, es gibt dazu sogar einen Parlamentsbeschluss. Das sind alles Zeichen dafür, dass der Islam in Deutschland, in Bayern angekommen ist. Deswegen ist der Islam heute natürlich ein Teil Deutschlands und Bayerns.

Würden Sie sagen, dass sich das Verhältnis der Muslime innerhalb der Gesellschaft in den letzten Jahren verbessert hat?

Vor dem 11. September 2001 hat die Mehrheitsgesellschaft die Muslime „übersehen“. Die Muslime waren schon hier, aber es gab keine Diskussion über Integration. Erst in den letzten zehn Jahren wurde der Islam, die muslimische Kultur sichtbar. Ich glaube, dass davor weder die Gesellschaft ein großes Interesse hatte, die Muslime zu integrieren, noch hatten die Muslime ein ernsthaftes Interesse, sich zu integrieren. Die Politik hat das Thema vernachlässigt und keine konkreten politischen Pläne zur Integration entwickelt. Und viele Muslime haben gedacht, dass sie früher oder später ohnehin in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Auch wenn der 11. September vielleicht nichts damit zu tun hat: Vor zehn Jahren hat die Situation begonnen sich zu verändern. Die Muslime identifizieren sich mehr mit Deutschland, sie fühlen sich hier wohl. Und auf der anderen Seite gibt es die Bereitschaft auf Muslime zuzugehen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.

Alles so rosig?

Gleichzeitig gibt es auf muslimischer Seite immer noch viele Menschen, die sich einer Integration verweigern. Und unter den einheimischen Bürgern gibt es große Teile, die nicht in der Lage sind, den Islam und die Muslime hier zu akzeptieren. Es gibt eine große Angst und auch Vorurteile. Es wächst eine Islamfeindlichkeit in der Mehrheitsgesellschaft. Deswegen ist die Debatte um den Islam sehr groß in Deutschland, in Bayern. Es ist jetzt unsere Aufgabe als Muslime, Vertrauen in der Gesellschaft zu schaffen. Die Mitglieder der Gesellschaft sind aufgefordert, zu uns zu kommen, und wir müssen auf die Mehrheitsgesellschaft zugehen, damit wir uns in der Mitte treffen.

Haben Sie selbst Erfahrungen mit islamfeindlichen Gruppen gemacht?

Es gibt ­– nicht hier in Penzberg, aber in größeren Städten wie München – Gruppierungen, gut organisierte und vernetzte Menschen, die Angst vor Muslimen schüren. Im Internet, in Broschüren, mit Veranstaltungen. Sie gehen auch zu Veranstaltungen und versuchen dort zu stören. Das ist hier auch mal passiert. Die kamen nicht aus Penzberg, sondern waren extra aus München herausgefahren. Am Karfreitag, also einem heiligen Tag für Christen haben sie vor der Kirche gegen mich persönlich und gegen meine Gemeinde gehetzt. Die Menschen, die Angst vor dem Islam schüren, sind nicht gläubige Menschen. Ich glaube, das sind Menschen, die überhaupt keine religiösen Gefühle haben, keinen Respekt gegenüber Religion. Das sind einfach Feinde des Glaubens. Das macht uns auch Angst. Genau wie Christen oder Nicht-Muslime Opfer eines muslimischen Extremismus sein können, können Muslime Opfer von solchen islamfeindlichen Menschen werden. Der Bayerische Verfassungsschutz ignoriert solche anti-muslimischen, extremistischen Entwicklungen und will bis jetzt solche Einrichtungen, wie die Bürgerbewegung „Pax Europa“ oder „Politically Incorrect“ nicht beobachten. Das finde ich sehr merkwürdig!

Ein Thema, zu dem Sie schon häufig interviewt wurden, ist die Beobachtung Ihrer Gemeinde durch den Verfassungsschutz. Warum wird die Islamische Gemeinde Penzberg im Verfassungsschutzbericht erwähnt? 

Das ist eine lange Geschichte, und es ist schwer, die hier in zwei, drei Minuten zu erzählen. Es gibt das, was bekannt ist, was offiziell ist. Und es gibt das, was nicht bekannt und offiziell ist. Es gab sehr verschiedene Vorwürfe, weil immer wieder neue erhoben wurden. Alle diese Vorwürfe sind belanglos und aus meiner Sicht mit der Absicht inszeniert, das positive Image, das wir hier geschaffen haben, zu diskreditieren. Wir Muslime, die wir Loyalität zum Grundgesetz, zur Mehrheitsgesellschaft gezeigt haben, sollten stigmatisiert werden. Es gibt viele Hintergedanken, warum sie uns vorgeworfen haben, dass wir mit angeblichen Extremisten Kontakt hatten. Am Anfang wurde uns auch vorgeworfen, dass wir selber Extremisten sind. Dann  hieß es, wir hätten Kontakt zu Extremisten. Als wir danach herausgefunden haben, dass auch CSU-Politiker mit denselben Gruppierungen, denen der Verfassungsschutz islamistische Ziele  vorwirft, in Kontakt waren, waren die Vorwürfe nicht mehr haltbar. Das Ganze, dieser ganze Streit hat natürlich viel Energie und Zeit gekostet, die wir gern für sinnvollere Dinge aufgebracht hätten. Leider. Niemand hat von diesem Streit profitiert, abgesehen von der großen Solidarität und Popularität, die wir dadurch auch bekommen haben. Aber nachdem uns jetzt wieder die Gemeinnützigkeit zugesprochen wurde, ist der Streit aus unserer Sicht jetzt beendet.

Was meinen Sie, wie kam es zu der Kehrtwende der Politik – dass die Gemeinde die Gemeinnützigkeit wieder erhält und im nächsten Verfassungsschutzbericht wahrscheinlich nicht mehr drinsteht?

Es gab Streit innerhalb der Koalition von CSU und FDP. Die Politiker haben sehr heftig über uns diskutiert. Es lag großer Druck von allen Seiten auf dem Innenminister. Nicht nur von der FDP und Oppositionspolitikern von SPD und Grünen. Auch von Religionsgemeinschaften, insbesondere vom evangelischen Bischof Dr. Friedrich. Der Innenminister konnte das, glaube ich, nicht mehr aushalten. Es gab auch Druck aus der CSU, von vernünftigen Politikern. Weil an den Vorwürfen nichts dran ist. Es gibt keinen Extremismus hier. Es gibt keine Verdachtsmomente. Es gibt keinen noch so geringen Grund, uns zu beobachten. Wir haben von FDP-Seite erfahren, dass sie sich für uns eingesetzt haben und dass ein Kompromiss gefunden wurde zwischen CSU und FDP. Nämlich uns wieder im Bericht 2010 auftauchen zu lassen, uns aber gleichzeitig die Gemeinnützigkeit wieder anzuerkennen. Die Erwähnung hat also keine Folgen mehr, und wir haben die feste Hoffnung, dass wir 2011 nicht mehr im Bericht auftauchen.

Was haben sie gedacht, als Sie hörten, dass Sie die Gemeinnützigkeit wieder bekommen?

Es war so ein gemischtes Gefühl zwischen Freude – nicht Jubel -, aber zwischen Freude und Enttäuschung. Freude, dass wir nach heftigen Auseinandersetzungen, nach zwei Jahren, die uns viel gekostet haben, die Gemeinnützigkeit wieder bekommen haben und so ein Stück rehabilitiert wurden. Auf der anderen Seite Enttäuschung darüber, dass in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat wie diesem, im 21. Jahrhundert so etwas passieren konnte. Wir haben die Nachricht an einem Donnerstag erfahren, und am Sonntag hatten wir eine große Veranstaltung, da waren ungefähr 200 Menschen hier. Als wir denen die Neuigkeit verkündet haben, gab es natürlich Applaus, große Freude. Aber es bleibt auch Enttäuschung. Die Menschen haben mich gefragt: Wir verstehen das nicht, warum war das alles eigentlich nötig?

Was sind denn aus Ihrer Sicht die wahren Gründe?

Das ist jetzt rein unsere Interpretation. Durch diese lange Auseinandersetzung haben wir herausgefunden, dass drei Menschen, die im Innenministerium arbeiten, eine Frau und zwei Männer, sehr feindlich gegenüber dem Islam orientiert sind. Unsere Interpretation ist, dass die alles versucht haben, um uns zu schaden. Wir haben innerhalb von drei Jahren mehrere Briefe an den Minister geschickt, in denen stand, dass wir Versöhnung wollen, dass wir einen Dialog führen wollen, dass wir den Minister zu uns einladen, dass wir das Ganze nicht verstehen. Es gab immer wieder negative Antworten und immer von denselben Menschen. Dieselben Unterschriften, dieselben Verfasser. Ich bedaure, dass der Minister Herrmann sich nicht intensiv mit dieser Frage beschäftigen wollte und die Mitarbeiter hat machen lassen. Er hat nicht verstanden, dass diese Menschen auch dieser wichtigen Behörde einen großen Schaden zufügen. Unsere Interpretation ist: Die Absicht war, uns hier zu stigmatisieren und das Projekt ZIE-M in München zu blockieren.

Sie haben während der Zeit viel Unterstützung erhalten. Gab es auch gute Seiten an der Auseinandersetzung?

Ein Gutes ist, dass wir diese drei Leute entdeckt haben. Wir haben mit solchen Menschen auch geredet. Wir wissen, welche Vorstellung sie vom Islam haben. Diese Beamten waren überhaupt nicht präsent in der Öffentlichkeit. Sie sind jetzt bekannt geworden mit ihrem Islamverständnis. Ich erwarte von einem Beamten neutral zu sein in einem demokratischen System, welches gegenüber allen Religionsgemeinschaften neutral ist. Diese Beamten versuchen Europa vor einer angeblichen Islamisierung zu schützen. Aber ihre Aufgabe ist nicht, eine Religion oder eine Kultur zu schützen, sondern die Verfassung, das Grundgesetz zu schützen – und die haben sie leider verletzt, von vorn bis hinten. Das bayerische Verfassungsschutzgesetz, Artikel 3, Absatz 4 beschreibt die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Personen, die gegen Völkerverständigung und gegen das Grundgesetz arbeiten, zu beobachten. Und der Verfassungsschutz weiß sehr genau, dass wir weder gegen andere Völker gehetzt noch das Grundgesetz in Frage gestellt haben. Und trotzdem haben sie uns beobachtet. Das heißt, dass sie das Verfassungsschutzgesetz verletzt haben und damit auch die Verfassung. Die erste Freude in dieser schlechten Situation war, dass wir das aufgedeckt haben. Die zweite gute Sache für uns war, dass wir sehr naiv waren und wir nicht wussten, wie das funktioniert. Was ist der Verfassungsschutz? Was ist ein Verfassungsschutzbericht? Nie in meinem Leben hatte ich davon gehört. Nie in meinem Leben hatte ich einen Verfassungsschutzbericht gelesen. In dieser Auseinandersetzung haben wir viele Dinge gelernt. Das ist eine positive Sache für uns und drittens haben wir durch diese heftige Auseinandersetzung auch viele Freunde kennengelernt und große Unterstützung bekommen. Es war nicht so einfach, einen Bischof, Politiker und Minister zu überzeugen. Es brauchte heftige Anstrengungen: Menschen hierher einladen, zu ihnen gehen und immer wieder erklären, immer wieder Unterlagen verschicken. Jeder hat etwas von uns verlangt. Schickt mir bitte das, schickt mir jenes. All das war viel Arbeit für uns, aber auch Freude: Wenn wir immer wieder Unterstützung bekommen haben von sämtlichen Parteien, sämtlichen Religionsgemeinschaften. Das ist ein Zeichen, dass die Muslime hier herzlich willkommen sind, dass es innerhalb der Mehrheitsgesellschaft sehr viele vernünftige Politiker gibt, sehr viele vernünftige religiöse Würdenträger, die an uns eine Hoffnung schicken, dass wir auch wertvolle Menschen sind. Das macht uns sehr große Freude.

Sie gelten als fortschrittlicher Imam. Bezeichnen Sie sich selbst so?

Das ist eine Einschätzung von einigen Beobachtern. Neutralen Beobachtern, Intellektuellen, Journalisten, Publizisten, aber es gibt viele fortschrittliche Imame, fortschrittliche Würdenträger. Ich bin nicht der einzige. Ich bin natürlich durch meine Arbeit, durch mein Engagement, meine Mühe, meine intensiven Arbeit hier bekannt geworden, und meine Gemeinde leistet eine große Arbeit, welche von der Mehrheitsgesellschaft geschätzt wird. Unsere Arbeit hier ist fortschrittlich, nicht unbedingt ich selbst.

Sie gelten auch als Symbolfigur für gelungene Integration, für ein Zusammenleben der Religionen. Ist das manchmal auch anstrengend?

Natürlich. Auf der einen Seite ist es eine Freude, auf der anderen eine Belastung, weil ich fast als der einzige gelte hier in Bayern. Und natürlich kommen immer wieder Anfragen. Jeden Tag, aus verschiedenen Städten, nicht nur aus Bayern, nicht nur aus Deutschland. Hunderte Anfragen, Telefonate, Emails. Wir sind überfordert. Wir schaffen das nicht alles. Und ich frage immer wieder: Gibt es denn keinen anderen Imam, keine andere muslimische Gemeinde, die das macht? Und ich bedaure das und will es nicht glauben, wenn ich höre, dass das stimmt. Ich bedauere es, wenn ich von Menschen höre, die tatsächlich andere Moscheegemeinden gesucht und nicht gefunden haben. Es gibt Menschen, die sagen, es ist nicht so einfach einen Imam zu finden. Es gibt Menschen, die sagen, wenn ich eine Moschee anrufe – niemand meldet sich. Wenn ich eine Email schicke, kriege ich keine Antwort. Es gibt Menschen die sagen, es ist schwierig, einen Imam zu finden, mit dem ich mich auch auf Deutsch ein bisschen unterhalten kann. Es ist schwer einen Referenten zu finden, der in deutscher Sprache einen Vortrag über den Islam hält. Und weil wir auch in den Medien sehr präsent sind, ist es einfach, uns zu finden. Wir haben eine repräsentative Moschee hier. Die Moschee ist immer offen und sie ist sichtbar. Es ist einfacher uns zu finden als eine Hinterhofmoschee. Es ist eine große Freude, das alles zu leisten, aber auf der anderen Seite ist es schwer.

Sie sind viel unterwegs. Wie ist ihr Eindruck wenn sie andere Gemeinden besuchen mit ihren Positionen zum Beispiel die Gleichberechtigung der Frau in ihrem Buch ganz wichtig? Wie redet man da darüber? Was sind da die Reaktionen?

Ich habe mit einigen Imamen ein gutes Verhältnis und wir treffen uns ab und zu und reden über diese Sachen. Ich werde nichts Schlechtes über sie sagen. Sie leben ein bisschen in einer anderen Gesellschaft. Sie haben keinen Zugang zur Mehrheitsgesellschaft. Sie beschäftigen sich nicht intensiv im Bereich des interreligiösen Dialogs. Sie haben eine Gemeinde, und jeder ist zuständig für seine Gemeinde und leistet in seiner Gemeinde seine Arbeit. Mit solchen Imamen diskutiere ich über verschiedene Fragen und es gibt Kontroversen, gleichzeitig aber auch Zustimmung.

Sie sind beteiligt am ZIE-M, dem Zentrum für Islam in europa in München. Können Sie das Projekt und seine Ziele kurz umreißen?

Das ZIE-M ist ein sehr ehrgeiziges Projekt. Mir ist kein ähnliches Projekt in Deutschland bekannt, das ein solches Islamverständnis im deutschen beziehungsweise europäischen Kontext etablieren, welches ein solches Begegnungszentrum schaffen will. Es gibt natürlich viele Moscheegemeinden, viele Projekte. Gestern war in Aachen die Grundsteinlegung einer türkische Moschee. Solche Moscheen werden immer wieder mit einem bestimmten Volk bezeichnet, mit einer bestimmten Idee und Weltanschauung In Deutschland gibt es entweder eine türkische oder eine arabische oder eine albanische Moschee. Es gibt keine deutsche Moschee. Es gibt Ditib, Milli Görus,… Und jede dieser Muslimen-Vereinigungen hat eine bewusste oder unbewusste politische Agenda. Jede hat einen Hintergrund, der mit der Herkunft zu tun hat. Das ZIE-M ist ein europäisches, deutsches Zentrum. Das ZIE-M identifiziert sich mit Deutschland und mit den Werten, welche wir in Deutschland haben. Mit Demokratie, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz. Deutschland, deutsche Sprache – das sind alles wichtige Elemente im ZIE-M. Und wenn wir über Gleichberechtigung sprechen, darf das nicht Theorie bleiben. Sie muss erlebt und gelebt werden. Und deswegen brauchen wir solche Zentren, wo wir tatsächlich beweisen können, was wir schreiben, was und wie wir denken. Es gibt eine neue Generation innerhalb der muslimischen Community, die mit dem bestehenden Islamverständnis und den Moscheegemeinden nicht zufrieden ist. Diese Menschen sagen: Ich bin in Deutschland geboren. Ich bin deutscher Moslem. Ich habe keine andere Herkunft, ich habe keine andere Heimat, ich habe keine andere Sprache. Ich bin ein offener,  toleranter Muslim. Ich will weder ein extremes, noch ein nationales noch ein ideologisches Islamverständnis. Für solche Menschen gibt es leider keine Institutionen. Das Ziel ist eine Antwort auf diesen Bedarf, auf die Fragen von solchen Muslimen.

Sie haben gerade erzählt, dass nicht alle Imame Ihrer Meinung sind. Wird die Umsetzung eines gemeinsamen Zentrums dann nicht schwierig?

Dazu muss ich etwas erzählen. Diese Moschee hier in Penzberg, als sie gebaut wurde, hat dazu beigetragen, mich schneller in diese Gesellschaft zu integrieren. So ein Zentrum spielt eine große Rolle für die Menschen. Ich glaube, wenn wir das ZIE-M in München bauen, wird dieses Zentrum helfen, muslimische Menschen, Imame, Theologen schneller in die Gesellschaft zu integrieren, weil es sichtbar ist. Dort wird diskutiert werden. Wir werden Seminare organisieren. Dort werden die Menschen ihre Gedanken ändern. Am vergangenen Freitag waren hier zwei Menschen, die aus einer anderen Stadt zum Freitagsgebet zu uns gekommen sind. Und als sie meine Predigt gehört haben, haben sie gesagt: Mir ist dieses Islamverständnis fremd. Genau so haben vor zehn Jahren auch einige Muslime in Penzberg gedacht. Und jetzt nach zehn Jahren, haben die Menschen ihre Gedanken geändert. Das heißt, das Zentrum hat dazu beigetragen, der Imam hat dazu beigetragen, der Vorstand hat dazu beigetragen, das Islamverständnis anders zu interpretieren, anders zu verstehen und deswegen ist ein solches Zentrum sehr wichtig.

Würden Sie sagen ein solches Zentrum wäre die Erweiterung des Penzberger Modells?

Ja, sicherlich. Das kann man so sagen, weil auch die Idee aus Penzberg kam. Natürlich gibt es viele Mitstreiter aus dem Raum München und auch Menschen, die in München leben, die hierher kommen und sagen: Das was Sie hier geschafft haben, wollen wir auch in München.

Was wünschen Sie sich für den Islam in Bayern?

Mein Wunsch ist, dass wir in fünf oder zehn Jahren nicht mehr über Integration reden müssen. Dass sich Menschen hier wohlfühlen und freundlich und friedlich miteinander zusammen leben. Dass wir nicht immer nur über Religion reden müssen. Mein Wunsch ist, dass wir es innerhalb der Gesellschaft schaffen, extremistische Gedanken zu verhindern und dafür brauchen wir Aufklärungsarbeit. Nicht der Islam ist für unsere Gesellschaft eine Gefahr. Was uns nachdenklich machen muss, sind Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Extremismus. Das sind Gefahren, gegen die wir gemeinsam arbeiten müssen. Mein Wunsch ist, dass wir mehr über Bildung reden, über den Schutz der Umwelt, mehr über vernünftige Sachen, über Frieden in der Gesellschaft, über Frieden auch im Nahen Osten. Wir brauchen weniger Vorurteile und mehr Vertrauen in die Gesellschaft.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner