Kanzelrede in der Hugenottenkirche Erlangen

24. Nov 2012 | Dialog

Imam Idriz: Kanzelrede in der Hugenottenkirche Erlangen

Bild: © Bernd Böhner, Quelle: nordbayern.de
Im Dialog: Imam Benjamin Idriz (Mitte) mit Lektor Peter Scheer, Pfarrer Mann und Professor Hartmut Bobzin in der Hugenottenkirche.

Kanzelrede von Imam Benjamin Idriz in der Hugenottenkirche Erlangen, Buß- und Bettag 2012

وَلَتَجِدَنَّ أَقْرَبَهُمْ مَّوَدَّةً لِّلَّذِينَ آمَنُواْ الَّذِينَ قَالُواْ إِنَّا نَصَارَى ذَلِكَ بِأَنَّ مِنْهُمْ قِسِّيسِينَ وَرُهْبَانًا وَأَنَّهُمْ لاَ يَسْتَكْبِرُونَ

„Du wirst wahrlich finden, dass die Menschen, die den Gläubigen in Liebe am nächsten stehen, die sind, die sagen: „Wir sind Christen“, dies, weil unter ihnen Priester sind und weil sie nicht überheblich sind.“ (5, 82)

Sehr verehrte Schwestern und Brüder,

ich habe zur Eröffnung meiner Rede, ganz bewusst diesen Vers 82 der Sure 5 gewählt, da ich Ihren Pfarrer, Herrn Mann, im Vorfeld kennenlernen durfte und er mir mit seiner Persönlichkeit diesen Vers in Erinnerung rief. Sie sollten wissen, dass dieser außergewöhnliche Abend dank Ihres weltoffenen und engagierten Pfarrers zustande gekommen ist.

Sowohl für Sie als Kirchenbesucher, als auch für mich, der ich es seit Jahren gewohnt bin, einmal in der Woche auf der Kanzel zu stehen um eine Predigt zu halten, ist dies doch schon ein ungewöhnlicher Buß- und Bettag-Abend in einer Kirche. Freitags besteige ich die Stufen der Kanzel in meiner Moschee in Penzberg. Und wenn Sie mich nun fragen würden, über welches Thema ich am liebsten spreche, dann ist es die Beziehung von Mensch zu Gott bzw. Mensch zu Mensch. Wie können wir in einer immer mehr plural gestalteten Welt und wiederum in unserem mikrokosmischen Kreise in Deutschland, in Bayern, in Erlangen, menschlich und würdig ein Zusammenleben gestalten ohne gleichzeitig die Beziehung zu Gott zu gefährden?

Ich habe die Einladung gerne und dankbar angenommen. Wir zeigen heute, dass Religionen sehr wohl friedlich miteinander umgehen können, denn schließlich stehen alle, mit keiner einzigen Ausnahme, für Frieden und wollen nur das Beste für den Menschen, der im Mittelpunkt der gesamten Schöpfung steht.

Ein Ausspruch des Propheten Muhammed lautet:

فاليعلموا أن في ديننا فسحة إني بعثت بحنيفية سمحة,

„Sie sollten wissen, dass unsere Religion flexibel ist. Zu einer toleranten Glaubensgemeinschaft bin ich gesandt worden.“

Es sind diese und viele weitere Quellen meiner Religion, die mich motivieren, auf andere zuzugehen, selbst auf die, die ihrerseits nicht zur Toleranz bereit sind. Wenn aber eine Einladung von einer Gemeinde kommt, die Toleranz als Vorgabe für ihre Weltanschauung begreift, dann komme ich mit noch größerer Achtung und Respekt. Denn die Toleranz erfordert Mut, und wenn wir diesen gemeinsam aufbringen, wird die Feigheit der Intoleranz für alle sichtbar. Toleranz ist der höchste Grad von Stärke und Intoleranz das erste Zeichen von Schwäche.

„Ich bin nicht gekommen um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“, sagt Jesus im Matthäusevangelium. Alle göttlichen Offenbarungen und Lehren und die aus ihnen hervorgegangenen Regeln, Werte und Normen sind im Laufe der Geschichte nur mit dem Zweck entstanden, die Grundrechte wie Gerechtigkeit und Gleichheit unter den Menschen, Frieden und Freiheit zu erzielen und zu schützen. Auch über Muhammed, dem letzten in der Prophetenkette, sagt der Koran in Sure 5, er sei entsandt worden, um wieder einiges zu klären und zu bestätigen und die frohe Kunde zu überbringen.

Liebe Geschwister,

die unerlässlichen Bedingungen für das Muslimsein sind:

  • der Glaube an den einzigen Gott,
  • der Glaube an den Jüngsten Tag,
  • der Glaube an alle Bücher der göttlichen Offenbarungen und
  • der Glaube an alle von Gott gesandten Propheten

Das heißt, Moses, Jesus oder Abraham zu ehren, ist ein genauso elementarer Bestandteil des Islam wie die Ehrung des Propheten Muhammed. Der Gläubige darf nicht zwischen ihnen unterscheiden.

قُولُواْ آمَنَّا بِاللَّهِ وَمَا أُنزِلَ إِلَيْنَا وَمَا أُنزِلَ إِلَى إِبْرَاهِيمَ وَإِسْمَاعِيلَ وَإِسْحَاقَ وَيَعْقُوبَ وَالأَسْبَاطِ وَمَا أُوتِيَ مُوسَى وَعِيسَى وَمَا أُوتِيَ النَّبِيُّونَ مِن رَّبِّهِمْ لاَ نُفَرِّقُ بَيْنَ أَحَدٍ مِّنْهُمْ وَنَحْنُ لَهُ مُسْلِمُونَ

»Sprecht: ›Wir glauben an Gott und an das, was uns von droben erteilt worden ist, und das, was Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und ihren Nachkommen erteilt worden ist, und das, was Moses und Jesus gewährt worden ist, und das, was ­allen Propheten von ihrem Erhalter gewährt worden ist: Wir machen keinen Unterschied zwischen irgendeinem von ihnen. Und Ihm ergeben wir uns.‹« (2,136)

Daraus ergibt sich für Muslime nicht nur, dass die Religionen Achtung verdienen, sondern auch die Pflicht, sie in aktiver Überzeugung zu verteidigen. Der Islam garantierte den Menschen die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, indem er das Verbot des Glaubenszwanges einführte.

Mit dem Koranvers (2:256)

لاَ إِكْرَاهَ فِي الدِّينِ

»Es soll keinen Zwang geben in Sachen des Glaubens«

erlaubte Gott die freie Wahl eines Glaubens und verbot den Zwang zu irgendeinem Glauben. Die Entscheidungsfreiheit zwischen Glauben und Nichtglauben unterstrich der Koran mit dem Vers (18:29):

لوَقُلِ الْحَقُّ مِن رَّبِّكُمْ فَمَن شَاء فَلْيُؤْمِن وَمَن شَاء فَلْيَكْفُر

»Lasse denn an sie glauben, wer will, und lasse sie verwerfen, wer will«

Und deswegen sieht der Koran weder eine Strafe für denjenigen vor, der sich von der Religion abkehrt, noch zwingt er jemanden zum Islam.
Gott verweist mit dem Vers (109:6):

لَكُمْ دِينُكُمْ وَلِيَ دِينِ

»Für euch eure Religion und für mich meine Religion«

nicht nur auf die Realität, dass es mehr als eine Religion gibt, sondern er stellt auch die Forderung auf, Menschen Freiheit im Glauben zu gewähren und Achtung zu schenken. Andersgläubige dürfen wir nicht als »Ungläubige« bezeichnen. Wer nicht das glaubt, was ich glaube, ist nicht »ungläubig«, sondern »andersgläubig«.

Im Vers 64 der Sure Al Imran, der den Namen der Familie Jesu trägt, spricht der Koran die Christen und Juden folgendermaßen an:

لَتَعَالَوْا إِلَى كَلِمَةٍ سَوَاء بَيْنَنَا وَبَيْنَكُمْ

»Kommt zu dem Grundsatz, den wir und ihr gemeinsam haben« (3:64)

Als Bindeglied nennt der Koran Folgendes (29:46):

وَقُولُوا آمَنَّا بِالَّذِي أُنزِلَ إِلَيْنَا وَأُنزِلَ إِلَيْكُمْ وَإِلَهُنَا وَإِلَهُكُمْ وَاحِدٌ وَنَحْنُ لَهُ مُسْلِمُونَ

»Wir glauben an das, was uns von oben erteilt worden ist, wie auch an das, was euch erteilt worden ist: denn unser Gott und euer Gott ist ein und derselbe, und ihm ergeben wir (alle) uns.«

Und er stellt auch die Kriterien auf, in welchem Stil man miteinander reden sollte:

وَلا تُجَادِلُوا أَهْلَ الْكِتَابِ إِلاَّ بِالَّتِي هِيَ أَحْسَنُ

»Streitet nicht mit dem Volk der Schrift (Juden und Christen), es sei denn auf die beste Art und Weise.« (29:46)

Mose und Jesus sind und bleiben für Muslime hoch geachtete Propheten und wichtige Gestalten für die Beziehung Gottes zu den Menschen!

Der Koran enthält keine neuen Inhalte, die alles Frühere ersetzen oder gar für ungültig erklären würden. Vielmehr vollendet und bestätigt der Koran die Schriften der Hebräischen Bibel und der Evangelien, und, in unserer Sicht, korrigiert er sie auch in manchen Punkten. Der Koran kann Jesus sogar „Wort Gottes“ (4:171) nennen, weil er die Botschaft Gottes durch sein Leben und Lehren in besonderer Weise verkörpert hat. Gleichwohl lehnt der Islam eine Menschwerdung Gottes ab, sodass wir Muslime nicht von einem „fleischgewordenen Wort Gottes“ sprechen können.

Hier liegt ein zentraler Unterschied zwischen Christentum und Islam, den wir, meine ich, stehen lassen und gegenseitig respektieren dürfen und sollen. Für uns ist das Wort Gottes einzig und allein in der Schrift präsent, im Koran. Wenn wir uns in Sein unmittelbares Wort vertiefen, bei der Koranlektüre also, begegnen wir Gott. Was wir im Koran lesen, stellt uns Gott eben nicht als unendlich fern dar, sondern in allererster Linie als Quelle der Barmherzigkeit, oder mit einer noch deutlicheren Vokabel übertragen: der Liebe. Nächstenliebe und Friede ist die fundamentale Botschaft aller Propheten.

Der Prophet Muhammed war beauftragt, wie alle seine Nachfolger, den Bund zwischen Gott und Mensch, wiederzubeleben. Die letzte Botschaft Gottes an die Weltgemeinschaft, also der Koran, war die letzte Interaktion zwischen Gott und Menschen. Das Ziel war, unter den Menschen, eine ummatan wasatan „gemäßigte und moderate Gesellschaft“ zu gründen, wie es im Koranvers 2:143 heißt.

Dies entspricht der Rolle des Menschen, der als Vertreter Gottes die Verantwortung übernommen hat, die von Gott erwünschte „friedliche Welt“ (daru-s-salam) auf Erden zu errichten.

وَاللَّهُ يَدْعُو إِلَى دَارِ السَّلامِ

»Gott lädt zur Wohnstätte des Friedens ein!« (10:25)

Gott als der gemeinsame Nenner der Religionen ist ein Licht, das die Welt erhellt, und kein Faktor der Feindseligkeit.

Mit dem Wort Gottes verursachen wir nicht Kriege, sondern beenden wir die Kriege. Religionen und unterschied­liche Glaubensrichtungen dürfen uns niemals daran hindern, die Gesellschaft voranzubringen und friedlich mit allen Menschen zusammenzuleben.

Gott ist as-Salam, der Friede, und akzeptiert deswegen nur die freiwillige Ergebenheit und friedliebende Beziehungen zwischen den Menschen. Wenn islam also bedeutet, sich Gott freiwillig zu unterwerfen, dann bedeutet muslim, der „friedliebende Mensch“, der Mensch der Frieden auf Erden verbreitet. Der Muslim ist das Gegenteil des verdorbenen, ungerechten, bösartigen und gewalttätigen Menschen. Dies bekundet der Prophet Muhammed am besten, indem er den Muslim folgendermaßen beschreibt:

المسلم من سلم الناس من لسانه ويده

„Der Muslim d.h. der friedliebende Mensch, ist verantwortlich dafür, dass die anderen friedliebenden Menschen vor seinen Händen und Worten sicher sind.“

Gerade dieser Andere, wer auch immer er sein mag, muss fühlen, dass er in Frieden mit den Muslimen leben kann und sich bewusst sein, dass keine Gefahr von diesen ausgeht. Der wahre Muslim ist derjenige Mensch, der in Frieden mit Gott, mit sich selbst, seiner Umgebung, allen Menschen, sowie mit dem ganzen Kosmos lebt.

Es passiert nicht zum ersten Mal in der Geschichte, dass eine Religion aufgrund von Vorurteilen derer, die sich im Hass Anderen gegenüber verloren haben, falsch verurteilt wird; es ist auch nicht das erste Mal, dass diese Personen versuchen den Grundbegriff einer Religion ins Gegenteil zu drehen; es ist aber auch nicht zum ersten Mal in der Geschichte so, dass die Menschen, die dieser Religion angehören, begreifen müssen, dass diese Vorurteile nicht von sich aus verschwinden werden.

Muslime müssen aufstehen und über die wahren Begriffe ihres Glaubens, ihres Lebens, ihrer Kultur und des Weltfriedens sprechen. Sie müssen darüber hinaus auch überzeugend handeln, damit sich das wovon sie sprechen, was sie propagieren, woran sie glauben und worin sie Andere unterrichten, in ihrer Lebensweise wiederentdecken lässt.

Gläubige aller Religionen müssen an vorderster Front gegen jede Radikalisierung der Religion vorgehen und Fanatismus bekämpfen, der Unterdrückung, Xenophobie und Gewalt entschieden entgegen treten, indem wir uns dazu bekennen, dass Hass, Terror und Krieg niemals eine Lösung, aber immer eine Sünde ist!

Ein Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft muss von einem ständigen Geben und Nehmen geprägt sein. Für die Muslime heißt es, selbst die Verantwortung zu übernehmen, für größtmögliche Transparenz zu sorgen und die Lehren der Religion klug, bedacht, vernünftig und verantwortungsvoll vorzuleben. Eine gemeinsame starke Stimme gegen jegliche Art von Intoleranz und von menschenunwürdigen Parolen muss Allgemeingut werden. Denn die beste Medizin gegen Hass ist Respekt und Toleranz.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in Deutschland bereits die passenden Schlüssel gefeilt haben, wir müssen uns nur trauen, auch die Türen damit zu öffnen.

Wir dürfen nicht Angst vor dem haben, was uns hinter dieser Türe erwartet. Sicherlich wird es auch Momente der Enttäuschung geben. Aber sehen wir doch auch die zahlreichen Momente des Friedens, der Geborgenheit und der Freude in diesem Land, im schönen Bayern, wo die Muslime seit mehr als 50 Jahren in Frieden mit Ihren Nachbarn leben, und zusammen mit der Mehrheitsgesellschaft für den Wohlstand des Landes arbeiten.

Wir brauchen mehr denn je eine Kultur der Wertschätzung von allen Seiten, und das erfordert, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und für einen alternativlosen und respektvollen Dialog einzutreten.

Das ist Voraussetzung und notwendig, denn es geht hier um unsere konstruktive Verantwortung für diese Gesellschaft – also darum, als engagierte Bürgerinnen und Bürger muslimischen oder nicht-muslimischen Glaubens für ein friedliches Zusammenleben in Pluralität einzutreten, für Bildung, für soziale Gerechtigkeit, für Menschenwürde, für Gleichberechtigung der Geschlechter, für Freiheit und für unseren gemeinsamen Rechtsstaat.

Ganz persönlich sehe ich meinen Dienst darin, dass die Religionen und somit auch meine Religion, der Islam, auf die Fragen unserer Zeit und unserer Kultur Antworten müssen. Eine Religion wäre tot, wenn sie nicht dynamisch die Menschen begleiten würde auf ihren vielen verschiedenen Wegen durch die Zeiten und Kulturen. Das steht in keinem Widerspruch damit, dass die Quellen der Religion ewig sind; denn sie kommen von Gott. Diejenigen, die aber nicht willens oder nicht fähig sind, aus diesen unveränderlichen Quellen immer wieder neue Antworten zu schöpfen, sind die Totengräber der Religion.

Als das erste Gebot des Korans, »Lies!« dem Propheten Muhammed verkündet wurde, gab es noch keinen Text zu lesen. So war damit eher gemeint: Versuche zu verstehen! – verstehen, was Gott sagen will, das Dasein, die Natur und alles, was die Menschheit betrifft.
Da Gott dem Menschen etwas von seiner eigenen Seele eingehaucht hat, ist der Mensch dasjenige Wesen, das Gott am nächsten steht ist. Also besteht zwischen Gott und Mensch ein horizontales Verhältnis und freundschaftliche und liebevolle Beziehung. Gott – trotz Seiner absoluten Mächtigkeit – darf nicht als ein Wesen angesehen werden, das auf den Menschen von oben, aus höchster Höhe herabsieht, sondern als eines, das neben dem Menschen steht, in ihm und mit ihm zusammen ist. Das formuliert der Koran sehr einprägsam und in aller Deutlichkeit:

وَنَحْنُ أَقْرَبُ إِلَيْهِ مِنْ حَبْلِ الْوَرِيدِ

„Wir sind dem Menschen näher als seine Halsschlagader“ (50:16)

Vor allem bestimmt die Liebe das Verhältnis zwischen Gott und Mensch und nicht die Furcht oder der Hass. Das heißt, Liebe und Gerechtigkeit müssen zum tragenden Element werden, in dem der Gelehrte die Verantwortung übernimmt, die Religion zu interpretieren und zu kommentieren. In diesem Sinne gilt es, nicht auf der Beschäftigung mit dem Dogma des Korans zu verharren, das ja ein Fingerzeig Gottes ist, sondern es gilt, in die aufgezeigte Richtung zu gehen, also zum Menschen, zum Leben und zur Natur.

Gott offenbart dem Menschen keine fertigen Antworten, sondern er zeigt ihm Beispiele aus einer bestimmten gesellschaftlichen Wirklichkeit und verlangt von ihm, dass er daraus Schlüsse zieht und dadurch sein Bewusstsein schärft. So will Gott den eingeschlafenen Geist der Menschheit erwecken und die Seite in ihm beleben, die nach Güte und Gerechtigkeit sucht.

Die Muslime sind weiterhin Veränderungen unterworfen, weil sie auch weiterhin abhängig bleiben von der Zeit und vom Raum, von der gesellschaftlichen Struktur und den anthropologischen und soziologischen Begebenheiten der Völker. Aufgrund dessen muss eine zeitgemäße Interpretation des Islam in Deutschland entwickelt werden, die dem Wandel der Zeit Rechnung trägt.

Heute haben wir andere Bedürfnisse und andere gesellschaftliche Strukturen als unsere Vorfahren; daher müssen sich auch die Diskurse und Methoden in der islamischen Theologie weiterbewegen. Bei dieser Methode sollte eine Verbindung zwischen der Lehre und der aktuellen Wirklichkeit hergestellt werden, sie sollte eine zeitgemäße Antwort auf die Frage finden, was Gott gemeint hat, statt zu wiederholen, was Gott gesagt hat.

Und zum Schluss, meine sehr verehrten Geschwister, beende ich meine Rede mit demselben Vers, mit dem ich und alle Imame ihre Freitagspredigt beenden:

إِنَّ اللَّهَ يَأْمُرُ بِالْعَدْلِ وَالإِحْسَانِ وَإِيتَاء ذِي الْقُرْبَى وَيَنْهَى عَنِ الْفَحْشَاء وَالْمُنكَرِ وَالْبَغْيِ يَعِظُكُمْ لَعَلَّكُمْ تَذَكَّرُونَ

Gott gebietet Gerechtigkeit und Gutes zu tun und Großzügigkeit gegenüber den Mitmenschen; und Er verbietet alles, was schmachvoll ist und Gewalttätigkeit. Er ermahnt euch. Vielleicht lasst ihr euch mahnen! (16:90)

Wir bitten Dich Lieber Gott!
Heute stehen wir vor Dir in Deinem Haus: Gemeinsam beklagen wir die Ungerechtigkeit und den Unfrieden auf der Welt.

Hilf uns, Mut zu haben, Zivilcourage zu üben, der Ungerechtigkeit entgegen zu treten. Denn wir wissen: Den Frieden hast du vorgesehen als einen Urzustand in Deiner Schöpfung.

Ermögliche uns, unsere Nachkommen so zu erziehen, dass sie die Menschenrechte lieben und sie darin bestärken alle Formen von Hass, Intoleranz und ethnischen Vorurteilen aus ihren Herzen zu beseitigen.

Barmherziger Gott,
stärke in uns allen die Verbundenheit zu diesem Land, den Respekt zu einander, lass uns zum gegenseitigen Nutzen voneinander lernen, und lass uns das Nebeneinanderher überwinden!

Gib uns die Kraft, für ein friedliches Miteinander einzutreten, und zeige uns den Weg zum Verstand und zu den Herzen der Menschen! Verschließe die Tür der Vorurteile, die uns unterwegs zum Dialog und zum Miteinander im Wege stehen! Befähige uns, Böses mit Gutem zu erwidern, so wie es die Schüler Deines Propheten Jesus einst lehrten: „Sehet zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun!“ (1. Thessalonicher 5:15)

Lass uns auch hier weiterhin in Frieden leben, beschütze unser Land vor Unheil! Wie dein großer Prophet Abraham betete: „Herr, mache diesen Ort zu einer Stätte der Sicherheit und des Friedens!“ (Koran 14:35)

Imam Idriz: „Toleranz ist der höchste Grad von Stärke“

Muslimischer Geistlicher predigt in der Hugenottenkirche: Pfarrer Johannes Mann muss Morddrohung aushalten

Pfarrer Johannes Mann hatte den Imam Benjamin Idriz zur Kanzelrede in die Hugenottenkirche eingeladen. Die neue Form des interreligiösen Dialogs hat heftigste Reaktionen hervorgerufen. Mann musste sogar eine Morddrohung aushalten.

„Lass Dich in den Arm nehmen“, sagte Mehmet Sapmaz und drückte Pfarrer Johannes Mann fest an sich. „Für deinen Mut“, sagte der Muslim und CSU-Stadtrat. Wie viele andere an diesem Abend war Sapmaz erfüllt von dem Gottesdienst in der Hugenottenkirche und der Kanzelrede des Imams Benjamin Idriz.

Zum Buß- und Bettag, der zur Besinnung und Neuorientierung aufruft, hatte Pfarrer Johannes Mann den muslimischen Geistlichen und Gelehrten Benjamin Idriz von der islamischen Gemeinde aus Penzberg in das evangelisch-reformierte Gotteshaus zum interreligiösen Dialog eingeladen. Ein gewagter Schritt war das, für manche gar ein Tabubruch, der schon vorab heftigste Reaktionen hervorgerufen hatte. Bis hin zur Morddrohung („Du gehörst aufgeknüpft“) gingen die Angriffe, die Pfarrer Mann nach seinen eigenen Worten über sich ergehen lassen musste. Unter Polizeischutz — so Mann — fand der Gottesdienst statt.

Wohl zum ersten Mal hat eine protestantische Gemeinde in Bayern einen Imam von der Kanzel predigen lassen. Um Irritationen auszuräumen, betonte Mann, und um allen Fanatikern zu zeigen: „Wir gehen hier miteinander mit Offenheit, Respekt und Vertrauen um.“

Benjamin Idriz zeigte sich als aufgeklärter Muslim, der zur Toleranz aufforderte: „Denn Toleranz erfordert Mut. Toleranz ist der höchste Grad von Stärke und Intoleranz das erste Zeichen von Schwäche.“ Dies gilt für den Imam auch für die Freiheit des Glaubens. Idriz betonte die Entscheidungsfreiheit zwischen Glauben und Nichtglauben mit dem Koran. Er zitierte aus Sure 18, Vers 29: „Lasse denn an sie glauben, wer will, und lasse sie verwerfen, wer will.“ Der Imam hob ebenso hervor, dass Islam Frieden bedeute. „Der wahre Muslim ist derjenige Mensch, der in Frieden mit Gott, mit sich selbst, seiner Umgebung, mit allen Menschen lebt.“

Idriz betonte in seiner Rede auch die Wandelbarkeit von Religionen und die Notwendigkeit einer kontextuellen Auslegung der Quellen: „Die Muslime sind Veränderungen unterworfen, weil sie auch weiterhin abhängig bleiben von der gesellschaftlichen Struktur und den anthropologischen und soziologischen Begebenheiten der Völker. Aufgrund dessen muss eine zeitgemäße Interpretation des Islam in Deutschland entwickelt werden, die dem Wandel der Zeit Rechnung trägt.“ Der Imam sprach sich daher für eine plurale Gesellschaft aus, für die Gleichberechtigung der Geschlechter, für soziale Gerechtigkeit in „unserem gemeinsamen Rechtsstaat“.

Idriz und seine Gemeinde ist in bestimmten Kreisen umstritten. Der Verfassungsschutz hatte die Islamische Gemeinde mehrere Jahre beobachtet; im Bericht der Behörde 2011 wurde die Gemeinde nicht mehr erwähnt. Idriz wurde allerdings von vielen Seiten — etwa vom evangelischen Altbischof Johannes Friedrich oder Münchens OB Christian Ude — unterstützt. Sie halten ihn für einen liberalen Vertreter des Islams, der für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehe.

Pfarrer Johannes Mann war nach der Veranstaltung erleichtert und glücklich: „Wir haben ein neues Kapitel im interreligiösen Dialog aufgeschlagen.“

Imam sprach in Erlangen über Texte aus der Bibel und dem Koran

Quelle: ead.de, Deutsche Evangelische Allianz e. V.

Erlangen (idea) – Ein muslimischer Geistlicher hat am Buß- und Bettag (21. November) in Erlangen in einem evangelischen Gottesdienst gepredigt. Eingeladen hatte die Evangelisch-reformierte Kirchengemeinde. Sie bittet seit einigen Jahren Prominente aus Politik und Gesellschaft, am Buß- und Bettag eine „Kanzelrede“ zu halten. Gastredner war der Imam von Penzberg (Oberbayern), Benjamin Idriz. Vor rund 200 Besuchern habe er aus der Bibel die Schriftlesung gehalten, über Toleranz gesprochen und ein Gebet vorgetragen, sagte Pfarrer Johannes Mann gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Der Ansprache hätten Abschnitte aus der Bibel und dem Koran zugrunde gelegen. In der Auslegung habe Idriz betont, dass der Islam Hass und Kriege ablehne. Gemeinsames Merkmal aller Religionen sei, zur Versöhnung zwischen den Menschen beizutragen. Seiner Ansicht nach sollte in den Moscheen auf deutsch gepredigt werden. Auch habe es Idriz als Vorrecht bezeichnet, in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben zu dürfen, dessen Verfassung alle Menschen in diesem Land beachten müssten. Laut Mann war Idriz’ Rede von Versen in arabischer Sprache eingerahmt, die mit „Im Namen Gottes“ übersetzt wurden. Die Ansprache sei mit großem Beifall aufgenommen worden.

Polizeischutz für den Gottesdienst
Pfarrer Mann zufolge fand der Gottesdienst unter Polizeischutz statt. In den vorangegangenen Tagen habe es „wüste Beschimpfungen“ von Islam-Hassern gegeben. Ein Anrufer habe gedroht: „Euch Pfaffenpack sollte man aufknüpfen.“ Idriz und seine Gemeinde wurden mehrere Jahre lang vom Verfassungsschutz beobachtet, weil es Kontakte zu der als verfassungsfeindlich eingestuften Islamistischen Gemeinschaft Milli Görüs gab.

Präses: Es war ein „interreligiöses Gebet“
Der Präses der Evangelisch-reformierten Kirche in Bayern, Simon Froben (Bayreuth), sagte auf idea-Anfrage, dass es sich bei der Veranstaltung um ein „interreligiöses Gebet“ gehandelt habe. In Gottesdiensten dürften nur theologisch ausgebildete Christen predigen. Der örtliche Kirchenvorstand habe das „Kanzelrecht“ und entscheide darüber, wer als Prediger eingeladen werde. Auf der Internetseite der Gemeinde war die Veranstaltung als Gottesdienst angekündigt worden.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner