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Pluralismus

von | 14. Aug 2014 | Publikationen

Vielfalt ist ein islamischer Wert

Wenn es einen Pluralismus in Bezug auf die Religion gibt, so ist es eine Notwendigkeit, ihn auch in der Kultur, Politik und in allen anderen Gebieten des Lebens gelten zu lassen. Denn dort, wo es kein pluralistisches politisches System gibt, herrschen Diktatur und Despotie.

Gott, der Schöpfer aller Menschen, ist einzig. Außer ihm existiert alles in der Mehrzahl. Gott hat verschiedene Glaubensrichtungen, Gesetze, Ethnien, Hautfarben, Sprachen geschaffen, damit die Menschen sich kennenlernen, miteinander kommunizieren und voneinander lernen: »O Menschen! Siehe, Wir haben euch alle aus einem Männ­lichen und einem Weiblichen erschaffen und haben euch zu Nationen und Völker gemacht, auf dass ihr einander kennenlernen möget.« (Koran: 49/13).

Gott wollte, dass die Menschen Pluralisten sind – sonst hätte er uns alle mit derselben Religion und derselben Nationalität erschaffen. »Und hätte dein Herr es gewollt, so hätte Er die Menschen alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht; doch sie wollten nicht davon ablassen, uneins zu sein.« (Koran: 11/118). Es widerspricht dem Koran, die eigene Religion und Lebensweise anderen aufzuzwingen: »Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf der Erde sind, geglaubt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, Gläubige zu werden?« (Koran: 10/99). Man kann der festen Überzeugung sein, dass der eigene Glaube und das eigene Denken richtig sind, aber das gibt einem nicht das Recht, den anderen Glauben und das andere Denken als falsch zu verurteilen. Gott weist mit dem Vers »Ihr habt eure Religion und ich habe meine Religion« (Koran: 109/6) darauf hin, dass es mehr als einen Religionsgemeinschaft gibt und dass die Andersgläubigen nicht als »Ungläubige« bezeichnet werden dürfen. Wer nicht das glaubt, was ich glaube, ist nicht »ungläubig«, sondern »andersgläubig«. Den koranischen Begriff kafir als »ungläubig« zu übersetzen, ist etymologisch und terminologisch falsch. Dieses Wort hat mit »ablehnen« und »verleugnen« zu tun und bedeutet nicht »ungläubig«. Es ist falsch, einen Christen oder Juden »ungläubig« zu nennen, denn er glaubt ja etwas, was seiner Überzeugung nach richtig ist.

Was falsch und was richtig ist, dieses Urteil steht nicht dem Menschen, sondern Gott zu: »Gott wird zwischen euch am Auferstehungstag richten hinsichtlich all dessen, worüber ihr uneins zu sein pflegtet« (Koran: 22/69). Der Vers »Es gibt keinen Zwang im Glauben« (Koran: 2/256) und der Vers »Für euch eure Religion und für mich meine Religion« (Koran: 109/6) weist nicht nur auf die unbestreitbare Realität hin, dass mehr als eine Religion existieren, sondern er stellt auch die Forderung auf, niemandem den eigenen Glauben aufzuzwingen. Darüber hinaus weist der Koran darauf hin, dass die verschiedenen Glaubensrichtungen ihre Gebetshäuser haben, die heilig sind und denen man unendlichen Respekt und bedingungslosen Schutz zukommen lassen muss. »… und würde Gott nicht die einen Menschen durch die anderen im Zaum halten, so wären gewiss die Gebetshäuser, Klöster und Kirchen, Synagogen und Moscheen niedergerissen worden, worin der Name Gottes oft genannt wird.« (Koran: 22/40).

Der Islam verteidigt in seiner Lehre die Pluralität der Rassen (Koran: 48/13), der Sprachen (Koran: 30/22) und Religionen (Koran: 11/117), und die muslimische Geschichte bezeugt die praktische Anwendung dieses Pluralismus. Die besten Beispiele für einen Pluralismus in der islamischen Geschichte liefern der »Vertrag von Medina«, der zu Lebzeiten Muhammeds verabschiedet wurde und den Charakter einer Verfassung für alle Bürger hatte, und das millet-System im Osmanischen Reich.

Wenn es einen Pluralismus in Bezug auf die Religion gibt, so ist es eine Notwendigkeit, ihn auch in der Kultur, Politik, Weltanschauungen und in allen anderen Gebieten des Lebens gelten zu lassen. Denn dort, wo es kein pluralistisches politisches System gibt, herrschen Diktatur und Despotie; und wir alle sehen ja heute, in welch erbärmlicher Lage sich die Gesellschaften unter solchen Regimen befinden und welches Ende solche Regime selbst nehmen. Die arabischen Massen verlangen jetzt konkrete und tragfähige Programme zur Sicherung ihrer Freiheit und ihrer Rechte, für Meinungs- und Pressefreiheit, für Religionsvielfalt, für Pluralismus, zur Bekämpfung der Armut und des sozialen Elends, und angefachte Konflikte in der Region wären sicherlich das Letzte, was sie sich dazu wünschten.

Die deutsche Verfassung und die in Europa vorherrschende demokratische Kultur garantieren die Existenz des Pluralismus. Es wäre weder mit dem Islam noch mit den Prinzipien irgendeines demokratischen Landes vereinbar, sich dem Pluralismus zu verschließen und stattdessen die Menschen einander angleichen zu wollen im Sinne von: »Was ich denke, ist richtig, und was die anderen denken, ist falsch und muss bekämpft werden.«

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